„Es werden nicht Wörter, sondern Inhalte übersetzt“ – so habe ich es mir vor einigen Jahren sagen lassen. Diese Bemerkung ist in ihrem Kern richtig, aber unvollständig. Beim Übersetzen und Dolmetschen wird der Inhalt des Gesagten nicht nur in einer anderen Sprache erläutert, sondern es kommt dabei unweigerlich auch zur Vermittlung kultureller Besonderheiten (die wiederum ihre eigenen sprachlichen Probleme bereiten). Gerade im juristischen Bereich kann es leicht zu Missverständnissen kommen, weil jedes Land auf eine eigene Rechtstradition zurückblickt. Namen von Behörden und Amtspersonen, Rechtsinstitute, Urkundentypen oder einzelne Regelungen im Familienrecht können von Land zu Land sehr unterschiedlich sein.
Jede Rechtstradition spiegelt die gesellschaftlichen Entwicklungen eines Landes wider und diese müssen im Idealfall bei der Übersetzung oder Verdolmetschung mitbedacht werden. Hierzu zwei Beispiele aus meiner beruflichen Praxis: Eine polnischsprachige Kundin wollte einen Asylbewerber aus Marokko heiraten. Bei der Anmeldung zur Eheschließung musste ich ihr den Hinweis der Standesbeamtin vermitteln, dass im Herkunftsland des Verlobten eine Mehrehe zulässig ist. Weder das deutsche noch das polnische Recht kennt polygame Ehen und was für den Marokkaner selbstverständlich war, war für die Polin zunächst erklärungsbedürftig.
Schwierigkeiten bereiten auch andere Rechtsinstitute wie zum Beispiel die 2001 in Deutschland eingeführte Eingetragene Partnerschaft. In einem Land, in dem es weder die eingetragene Partnerschaft noch die gleichgeschlechtliche Ehe gibt, wird dieser deutsche Rechtsakt grundsätzlich nicht anerkannt. Dass es für zwei Frauen oder zwei Männer in Deutschland die Möglichkeit gibt, ihre Beziehung vom Staat anerkennen zu lassen, ist manchen Menschen aus anderen Kulturkreisen völlig unbekannt. Trotz der in Polen anhaltenden Debatte um die Einführung einer ähnlichen Regelung für gleichgeschlechtliche Paare, schien eine andere Kundin von mir auf die Frage, ob sie denn schon in einer Eingetragenen Partnerschaft gelebt hat, sehr verblüfft, woraufhin ich ihr in einem eingeschobenen Satz die in der deutschen Gesellschaft verbreitete Akzeptanz für gleichgeschlechtliche Beziehungen erläutern musste.